Das Versagen der EU und Deutschlands könnte größer nicht sein: Beim Versuch, den wichtigsten Gaslieferanten wegen dessen völkerrechtwidrigen Angriffskrieges auszutauschen, hat man sich einen neuen Gaslieferanten gesucht, der einen völkerrechtwidrigen Angriffskrieg führt. Doch während im Falle von Russlands Angriff auf die Ukraine Politik und veröffentlichte Meinung weitgehend im Gleichschritt marschieren, so üben sie sich im Falle von Aserbaidschans Angriffs auf Armenien gleichermaßen in Schweigen und Äquidistanz.
Für das älteste christliche Volk der Welt, das vor gut einhundert Jahren nur knapp seiner völligen Vernichtung durch die Türken entging, ist dies eine weitere Katastrophe. Ermutigt durch den peinlichen Gas-Bettelbesuch der EU Kommissionspräsidentin setzt Aserbaidschans Diktator Aliyev seinen genozidalen Vernichtungskrieg gegen die Armenier fort – hochgerüstet vom NATO-Mitglied Türkei, von Israel sowie von Russland, Armeniens vermeintlicher Schutzmacht.
Die Außenministerin schweigt, der Kanzler wiegelt ab
Die „wertebasierte“ Außenpolitik der angeblichen Völkerrechtlerin und Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock wurde mit dem von ihr unkommentierten Massenmord an über 100 Armeniern an nur einem Tag offiziell beendet. Ihr Pressesprecher äußerte sich in größtmöglicher Äquidistanz: Man könne keinen Agressor benennen.
Mangels fehlender unabhängiger internationaler Beobachter vor Ort kann man das sozusagen nicht unabhängig überprüfen. Ich glaube, es steht uns auch nicht gut zu Gesicht, diesen Konflikt sozusagen mit dem zu vergleichen, was in der Ukraine passiert ist. Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen, und dazu jetzt sozusagen Parallelen zu ziehen, würde ich mir zumindest nicht zu eigen machen.
Sprecher Auswärtiges Amt am 14.09.22
Dumm nur, dass abgesehen vom gesunden Menschenverstand (Aserbaidschans Militär-Budget ist größer als der gesamte armenische Staatshaushalt) zu diesem Zeitpunkt das US State Department bereits von klaren Beweisen für Bombardierungen Armeniens durch Aserbaidschan gesprochen hatte.
We have seen significant evidence of Azerbaijani shelling inside Armenia and significant damage to Armenian infrastructure
Sprecher US State Department am 13.09.22
Bundeskanzler Scholz sagte immerhin anlässlich eines Besuchs des georgischen Ministerpräsidenten ein paar Halbsätze über den Konflikt, welcher „keinen Sinn“ mache. Auch vom Kanzler nichts darüber, wer hier – einmal wieder – Angreifer war und wer – einmal wieder – massakriert wurde.
EU Kommissionspräsidentin von der Leyen schaffte es gar, am Mittwoch eine ganze Rede über den Zustand der EU und den Ukraine-Krieg zu halten, ohne auch nur mit einem Wort auf den jüngsten Blutrausch des von ihr als „zuverlässiger Partner“ gerühmten Diktators Aliyev einzugehen.
Journalisten relativieren Massenmord mit Völkerrecht
Eigentlich wäre dieses Totalversagen der Menschenrechtspolitik von Bundesregierung und EU eine Steilvorlage für Opposition und Medien. Doch die machen es den Regierenden mit wenigen Ausnahmen erstaunlich leicht. Besonders gerne wird der Mythos verbreitet, ausgerechnet das Völkerrecht stünde im Bergkarabach-Konflikt auf der Seite der Angreifer.
Das umstrittene Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan
Süddeutsche Zeitung vom 13.09.22 mit Agenturmaterial
Das Gebiet liegt aber völkerrechtlich auf aserbaidschanischem Gebiet
Tagesschau vom 14.09.22
Das ist blanker Unsinn, dutzendfach abgeschrieben in deutschen Redaktionen. Einmal ganz davon abgesehen, dass die jüngsten Angriffe Aserbaidschans eben nicht in Bergkarabach, sondern auf armenisches Kernland stattfanden. Die Hintergründe des Konfliktes bleiben ebenfalls weitgehend ausgeblendet. Wer diese kennt, weiß um die existenzielle Bedrohung für das durch zahlreiche Massaker in Aserbaidschan sowie den Genozid der Türken von 1915 dezimierte armenische Volk.
Kritische Stimmen nehmen zu
Es erscheint derzeit absolut möglich, dass es zum Äußersten kommen wird: Ethnischen Säuberungen, der Vertreibung der Armenier nicht nur aus Bergkarabach, sondern auch aus dem Kernland – zur Fortsetzung des Völkermords. Einzelne Politiker und Journalisten sind sich dieser Tragweite durchaus bewusst:
Auch wenn viele deutsche Medien schweigen: Derzeit überfällt die Öl-Diktatur das demokratische Armenien.
Martin Sonneborn im Europäischen Parlament
Angriffskrieg? Welcher Angriffskrieg?
Telepolis
Nancy Pelosi eilt ins angegriffene Armenien.
BILD
Mitten in Friedensverhandlungen mit Armenien hat Aserbaidschan ein Blutbad angerichtet.
SPIEGEL
Azeri rhetoric today and its dehumanization of Armenians are reminiscent of Rwanda immediately prior to the anti-Tutsi genocide
Michael Rubin
Weitere Informationen:
Europa und Werte: Ein Trauerspiel