Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Politik und Medien: Wie Deutschland Armenien fallen lässt

Von Vita

Medien

Es waren große Worte in der Resolution des Deutschen Bundestages im Jahr 2016: Vor dem Hintergrund des Mitwissens und der erheblichen Mitwirkung des Deutschen Kaiserreichs am Völkermord der Türken an den Armeniern hob das Parlament die besondere Verantwortung Deutschlands hervor.

Der Deutsche Bundestag (…) beklagt die Taten der damaligen jungtürkischen Regierung, die zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich geführt haben. (…) Das Deutsche Reich trägt eine Mitschuld an den Ereignissen. Der Bundestag bekennt sich zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands.

Resolution des Deutschen Bundestages

Nun könnte man meinen, zur „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands“ würde es gehören, unbedingt aufzuschreien, wenn der türkische Präsident Erdogan einen der Haupttäter des Völkermords öffentlich hochleben lässt. Oder wenn der aserbaidschanische Präsident Aliyev Armenier „wie Hunde jagen“ will und selbst deren Hauptstadt Jerewan für ihn zu Aserbaidschan gehört.

Doch von Außenministerin Baerbock gab es beim jüngsten Massaker an über 200 Menschen nur dröhnendes Schweigen. Kanzler Scholz sprach von einem Konflikt, der „keinen Sinn“ mache. So kann man den drohenden Völkermord an bis zu 3 Millionen Menschen natürlich auch bezeichnen.

Oder man macht es wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die über ihren PR-Dienst ots gerne die Staatspropaganda einer Diktatur verbreitet, sich mit Warnungen vor einem Genozid jedoch schwertut:

Sie haben uns heute einen Auftrag zur Verbreitung eines Textes über unser Netzwerk übermittelt. Nach interner Rücksprache teilen wir Ihnen mit, dass wir Ihren Auftrag nicht annehmen. (…) Diese Entscheidung steht fest und ist nicht verhandelbar. 

Antwort der zur dpa-Gruppe gehörenden news aktuell GmbH

Ins Bild der absurden Äquidistanz deutscher Medien, die vielfach immer noch lieber das Märchen eines Konfliktes allein um die völkerrechtlich vermeintlich zur Öl-Diktatur Aserbaidschan gehörende Region Bergkarabach erzählen, anstatt über den fortwährenden Angriff auf die demokratisch regierte Republik Armenien zu berichten, passt das leider nur allzu gut.

Es wäre den Geschäften der dpa-Gruppe mit dem Aliyev-Regime auch sicherlich abträglich, würde sie die folgende Pressemitteilung veröffentlichen:

Angriff Aserbaidschans auf Armenien: Autor von Völkermord-Doku kritisiert Bundesregierung und Medien

Der Journalist und Autor Eike Christian Petering, der im Jahr 2015 den Dokumentarfilm „Der vergessene Völkermord“ für das ZDF produziert hat, kritisiert in einer aktuellen Stellungnahme die Haltung der Bundesregierung sowie die unzureichende Berichterstattung vieler Medien zum jüngsten Angriff Aserbaidschans auf Armenien:

„Außenministerin Annalena Baerbock schweigt seit über einer Woche zu einem erneuten Massaker mit über 200 Toten und 7.000 Vertriebenen, zu schlimmsten Gräueltaten wie der Zerstückelung von Frauen. Ist das die wertegeleitete und feministische Außenpolitik der gelernten Völkerrechtlerin?“

Der gemeinsame Auftritt von EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Aserbaidschans Machthaber Ilham Aliyev kurz vor dem Angriff spreche ebenfalls Bände. „Vergleichen Sie das momentane Schweigen in Berlin und Brüssel gerne einmal mit den klaren Worten einer Nancy Pelosi“, so Petering.

Die spärliche Berichterstattung in Deutschland werde der Bedeutung des Themas nicht gerecht: „Wir haben es hier mit der drohenden Fortsetzung des Genozids von 1915 mit über 1,5 Millionen Opfern zu tun“, warnt Petering. Der türkische Präsident Erdogan habe etwa im Jahr 2020 auf der „Siegesfeier“ in Baku einen der Haupttäter des Völkermords hochleben lassen. Aserbaidschans Präsident Aliyev nenne Armenier „Hunde“ und betrachte die armenische Hauptstadt Jerewan als Bestandteil seines Landes.

In Deutschland werde jedoch das fragwürdige Narrativ eines Konfliktes allein um die Region Bergkarabach sowie einer „völkerrechtlichen“ Zugehörigkeit Bergkarabachs zu Aserbaidschan transportiert, die unter Staatsrechtlern umstritten sei. Noch beim Kosovo habe man das Selbstbestimmungsrecht der Völker höher gewichtet.

Petering: „Gerade im Vergleich zu den moralischen Prinzipien, die heute von Regierungsmitgliedern für den Ukraine-Krieg angeführt werden, unterminiert das Schweigen zu schwersten Menschenrechtsverletzungen im Kaukasus die Glaubwürdigkeit Deutschlands und der EU völlig. In Armenien droht ein Völkermord an bis zu 3 Millionen Menschen.“

Pressemitteilung von Dipl.-Journ. Eike Christian Petering am 23.09.22