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50.000 € zu Ehren eines KZ-Planers: Der Herbert Quandt Medien-Preis

Wie feiert man standesgemäß den Geburtstag eines skrupellosen Unternehmers, unter dessen Personalverantwortung hunderte Zwangsarbeiter starben und der persönlich ein neues KZ-Außenlager für seine Firma plante? Ganz einfach: Man verleiht jährlich am 22. Juni einen Journalistenpreis zur Würdigung seines „Lebenswerks“ und spendiert dazu 50.000 € an Journalisten möglichst großer Medienhäuser, die dann stolz über den Erhalt der „renommierten“ Auszeichnung im Namen des NS-Industriellen berichten: Willkommen beim Herbert Quandt Medien-Preis.

Dass dieses absurde Schauspiel auch über ein Jahrzehnt nach Erscheinen des Dokumentarfilms „Das Schweigen der Quandts“ und zahlreichen kritischen Berichten immer noch kein Ende gefunden hat, sagt einerseits viel über die Erben des späteren „BMW-Retters“ aus:

Wenn man sein Lebenswerk sieht, denke ich nach wie vor, dass man zu einem Gesamtbild kommt, das es rechtfertigt, einen Herbert Quandt Medien-Preis zu verleihen.

Stefan Quandt im Jahr 2011

Auf der Webseite des Preises liest sich das – neben einem kleinen Absatz zur Geschichte – dann so:

Nach seinem Wunsch sollte der Unternehmer als Mensch wahrgenommen werden, dessen Tun und Handeln sich über den ökonomischen Nutzen hinaus an der Verantwortung für die Gemeinschaft ausrichtet.

Webseite der Johanna-Quandt-Stiftung

Vor allem aber ist die weitere Verleihung eines Journalistenpreises im Namen und zum Geburtstag eines der NS-Hauptkriegsverbrecher (laut US-Ankläger Ferencz) ein Armutszeugnis für den Journalismus in Deutschland. Bei insgesamt 50.000 € Preisgeld finden sich jedes Jahr wieder dankbare Bewerber, die ebenso gut einen Goebbels-Journalistenpreis entgegennehmen könnten.

Wie steht es um die Mitverantwortung der Verlage und Rundfunkanstalten? Im Rahmen einer mehrjährigen Exklusivrecherche hat ereporter auch in 2021 wieder Stellungnahmen jener Medienhäuser eingeholt, deren Autoren auf der „Shortlist“ für die Preisverleihung am 22. Juni stehen:

Grundsätzlich würdigen Preise und Auszeichnungen die qualitativ hochwertige Arbeit einzelner Kolleginnen und Kollegen. Die Bewertung als solche liegt deshalb, wie im Übrigen bei allen Autoren-Preisen, im Ermessen des Einzelnen. Mit ihrer Berichterstattung hat ja gerade die ARD schon vor Jahren maßgeblich zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Quandts beigetragen. Für den BR ist relevant, dass die Familie nach Aufkommen der Vorwürfe offen und transparent mit dem Thema Nationalsozialismus umgegangen ist. Die Geschichte wurde über Jahre sehr aufwendig historisch aufgearbeitet. Zudem zeigt die Vergabe des Preises, dass die Jury über Jahre exzellente und auch kritische Arbeit auszeichnet. Viele renommierte Journalisten verschiedener großer Medienunternehmen haben den Preis bisher erhalten.

Bayerischer Rundfunk

Wir beantworten Ihre Anfrage im Namen beider Kooperationspartner, dem Saarländischen Rundfunk und Correctiv, die mit dem Projekt „Wem gehört das Saarland” gemeinsam für den Herbert Quandt Medien-Preis nominiert sind. Uns ist bewusst, dass die Persönlichkeit Herbert Quandt umstritten ist. Die von Ihnen erwähnten Umstände und die Biografie Herbert Quandts sind uns bekannt. Natürlich haben wir uns darüber Gedanken gemacht, ob eine Bewerbung unter diesen Umständen vertretbar ist. Folgende Gründe haben uns dazu bewogen:

Der Herbert Quandt Medien-Preis ist einer der renommiertesten Wirtschaftspreise. Er wird „im Gedenken an die Persönlichkeit und das Lebenswerk” Herbert Quandts verliehen. Der Preis trägt dazu bei, die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Dazu gehören neben den Erfolgen eines Herbert Quandt auch die dunklen Seiten und die Verfehlungen. Dunkle Seiten und Verfehlungen, die gerade nicht (mehr) im Dunkeln liegen. Im Gegenteil: Sie sind ausführlich erforscht und dargelegt. Dazu hat auch die ARD mit ihrer Berichterstattung beigetragen. Die Familie Quandt hat sich im Anschluss mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt, sie wurde aufwendig aufgearbeitet. Das hat bei vielen anderen Unternehmen noch nicht stattgefunden.

Der Name bleibt dadurch natürlich weiterhin umstritten und es ist auch gut, in einem stetigen Dialog darüber zu bleiben. Um diesen Dialog aktiv mitzugestalten und weiter zu fördern, überlegen wir, das Preisgeld – sollten wir gewinnen – zu spenden oder für eine Recherche zu verwenden, die sich etwa mit antidemokratischen Bestrebungen auseinandersetzt. Die genauen Details werden wir zu gegebener Zeit mitteilen.

CORRECTIV

Die Geschichte der Familie Quandt und die Rolle Herbert Quandts in der NS-Zeit sind in den letzten Jahren umfangreich aufgearbeitet worden. Auch in unseren Programmen wird immer wieder ausführlich und kritisch über die Verstrickungen von Unternehmen und Naziregime berichtet – zum Beispiel hier und hier.

Auch die Familie Quandt unterstützt die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Ihre Unternehmen gehören zur Gründergeneration der Stiftung für Zwangsarbeiter.

Das Engagement für das demokratische Gemeinwesen ebenso wie für die freie Presse unter anderem durch die Johanna-Quandt-Stiftung ist unverkennbar. Stefan Quandt hat sich in Reden bei der Preisverleihung zur Verantwortung für die Familiengeschichte bekannt, gleichwohl wäre eine umfassendere Darstellung des Forschungsstands und der Hintergründe auf der Website des Preises sicher angezeigt. 

Der Medienpreis würdigt seit vielen Jahren anspruchsvolle und hintergründige Beiträge zu wirtschaftspolitischen Themen. Deutschlandradio macht den Autoren, die sich teilweise eigenständig beworben haben, keine Vorgaben, wie sie mit einer möglichen Auszeichnung umzugehen haben.

Deutschlandradio

Wir als FUNKE wissen natürlich um die Problematik, die mit dem Preis im Allgemeinen und im Besonderen natürlich mit der Person Herbert Quandt verbunden ist. Dies gilt selbstverständlich auch die Kolleginnen und Kollegen, die eine Bewerbung eingereicht haben.

Wir sehen aber, dass die Verantwortlichen der Stiftung offen mit der eigenen problematischen Geschichte umgehen – und sich gerade aus diesem historischen Bewusstsein heraus für die Förderung von Qualitätsjournalismus und die freie Presse einsetzen.

FUNKE Mediengruppe

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir haben sie mit unserem Redakteur Dr. Ingo Nathusius besprochen, der Zeithistoriker ist, für unsere „hessenschau“ 2005 den Preis bekommen hat und sich seinerzeit mit der Familie Quandt auseinandergesetzt hat und es noch tut. 

Zweifellos war Herbert Quandt Profiteur des Naziregimes und Akteur. Ernsthafte Auseinandersetzung mit der Nazizeit hat zu seinen Lebzeiten nicht stattgefunden und auch der aktuelle Lebenslauf auf der Webseite ist äußerst dürftig.

Bei Stiftung, Preis und Familie spiegelt sich deutsche Geschichte, der Umgang mit der Nazizeit und der Umgang mit Vorfahren, die Täter waren.

Herbert Quandts dritte Frau und deren Kinder, die die Stiftung tragen, haben sich über die Jahre und Jahrzehnte erst für den demokratischen Staat eingesetzt, dann für die freie Presse und sich schließlich mit der Vergangenheit der Familie auseinandergesetzt. Ihre Unternehmen gehören zur Gründergeneration der Stiftung für Zwangsarbeiter.

Wenn man sich die Preisträger und Stipendaten der Johanna Quandt-Stiftung und deren Werke ansieht, entsteht nicht der Eindruck, dass es hier um eine politische/ ökonomische Agenda ginge. So war unsere hr-Reporterin Carla Reitter als Studentin Stipendiatin der Stiftung. Nachdem ihr die Hintergründe klar wurden, hat sie sich in einer Reportage kritisch mit den Quandts in Geschichte und Gegenwart auseinandergesetzt. 

Die Familiengeschichte war durch ein Buch von Rüdiger Jungbluth bekannt. Populär wurde sie erst durch einen Film der ARD von 2007 „Das Schweigen der Quandts“. In der Folge bekannte sich Stefan Quandt in seinen Reden beim Medienpreis zur Verantwortung für die Familiengeschichte, machte aber auch immer wieder die persönliche Bindung an die Familie deutlich. Die Quandts beauftragten und finanzierten mit Joachim Scholtyseck einen hochgeachteten Fachmann, der umfassenden Zugang zu Archivalien erhielt und eine Monographie zur Familiengeschichte verfasste.   

Es ist erkennbar schwer für Kinder von Nazi-Tätern, sich mit ihren Vätern konkret auseinanderzusetzen, wenn es denn nicht der harte Bruch zu den Eltern sein soll. Kinder haben sie ja mutmaßlich als liebevolle und verantwortungsbewusste Eltern kennen gelernt. Insofern scheint der Umgang der Quandts mit ihrem Erbe einerseits typisch, was Namen und Taten Herbert Quandts angeht. Andererseits ist der Umgang aber auch außergewöhnlich beim Einsatz für die Demokratie. Unser damaliger Intendant Reitze war lange Jahre aktives und kritisches Mitglied des Kuratoriums und damit der Jury der Johanna Quandt-Stiftung.    

Wir sehen also keine Veranlassung, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern irgendwelche Vorgaben bezüglich Teilnahme am Herbert Quandt Medienpreis zu machen.

Hessischer Rundfunk

Der NDR hat den Film nicht selbst eingereicht, sondern Mitglieder der „Herbert Quandt Medien-Preis“-Jury wurden aufgrund der großen medialen Resonanz auf die Reportage aufmerksam und haben den Vorschlag selbst eingebracht.

Für die Redaktion ist entscheidend, ob die Nachfahren von Herbert und Günther Quandt die Vergangenheit aufgearbeitet haben. Diese Absicht ist – in Folge der NDR Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ – erkennbar. Die Familie Quandt beauftragte beim Bonner Historiker Joachim Scholtyseck eine umfangreiche Analyse auf der Basis von Primärquellen. Die Erben haben die bis dahin verschlossenen Archive geöffnet, sich zudem zu ihrer Vergangenheit erklärt. 

Der Historiker selbst hat auf die Frage, ob sich Günther und Herbert Quandt noch als Namensgeber für Journalistenpreise eignen, geantwortet: „Ich halte nichts davon, die Erinnerung an die Vorfahren im Sinne einer Damnatio memoriae zu tilgen. Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Extreme, im Guten wie im Schlechten. Genau das zeigt der Aufstieg der Quandts.“

Im ZEIT-Interview mit den Enkeln Stefan und Gabriele Quandt („Man fühlt sich grauenvoll und schämt sich“, ZEIT v. 22.09.2011) äußert sich Stefan Quandt 2011 zum Zweck des nach seinem Vater benannten Journalistenpreises wie folgt: „(…) was wir auszeichnen, sind Beiträge, die Unternehmertum und marktwirtschaftliches Verständnis befördern und einer breiten Öffentlichkeit nahebringen wollen.“

Der Quandt-Preis ist heute ein renommierter Preis, der kritischen und aufklärerischen Journalismus würdigt. Der Redaktion und der Autorin ist der problematische Hintergrund des Namens Herbert Quandt sehr wohl bewusst.

Die jeweiligen Autor*innen bestimmen selbst, ob sie einen Preis annehmen.

Autorin Anne Gänsicke: „In allen meinen journalistischen Arbeiten befasse ich mich mit Menschen, dem, was sie bewegt, antreibt, zu dem werden ließ, was sie heute sind. Wie schmerzhaft Trauma bis heute oft unausgesprochen an die Nachfahren weitergegeben werden, auf Täter- und auf Opferseite, hat mich tief bewegt. Auch diese Geschichten wollen erzählt werden. Mit dieser Intention arbeitete ich mit einer Kollegin für die NDR Reihe ‚Unsere Geschichte‘ an der Doku ‚Als die Russen kamen und gingen‘ und begleite medial seit Jahren eine Stralsunderin bei ihrer emotional höchst engagierten Spurensuche nach jüdischen Nachfahren von Holocaust-Opfern ihrer Heimatstadt. In diesem Sinne kann ich die Ehrung einer angesehenen, breit aufgestellten Jury, die mich ausgewählt hat, annehmen. Es steht für mich nicht im Widerspruch zu einer steten Auseinandersetzung mit menschlichen Abgründen.“

Norddeutscher Rundfunk

Die ZDF-Redaktionen, deren Dokumentationen auf der Shortlist stehen, sind über die Diskussionen rund um die Aufarbeitung der Geschichte des Quandt-Unternehmens in der NS-Zeit informiert. Der Medienpreis gilt als Auszeichnung für herausragende publizistische Arbeiten – aus dieser Perspektive wird er wahrgenommen.

ZDF

Keine Stellungnahmen gaben Capital, deren Chefredakteur Horst von Buttlar auch in der Jury des Preises sitzt, das Hamburger Abendblatt, der Nordkurier sowie netzpolitik.org ab. Die Chefredakteurin des mit einem Artikel ebenfalls auf der Shortlist für den diesjährigen Herbert Quandt Medien-Preis stehenden Wirtschaftsmagazins brand eins Gabriele Fischer verweist darauf, dass sie selbst sich kurz nach Erscheinen der Doku „Das Schweigen der Quandts“ im Jahr 2008 aus der Jury des Preises zurückgezogen habe: „Damit ist von unserer Seite aus alles zum Thema gesagt.“