Zehn Fakten zum Krieg um Bergkarabach

Von Vita

Politik

  1. Aserbaidschan und die Türkei haben den Krieg begon­nen.

    Bereits im Sommer 2020 prob­ten tür­ki­sche und aser­bai­dscha­ni­sche Militärs in einem Manöver die Eroberung der auto­no­men Region Bergkarabach. Am 27. September star­te­ten sie schließ­lich ihren gemein­sa­men Angriffskrieg, gelei­tet von tür­ki­schen Offizieren und Spezialkräften sowie mit­tels von der Türkei impor­tier­ter isla­mis­ti­scher Söldner aus Nordsyrien.

  2. Bergkarabach ist völ­ker­recht­lich unab­hän­gig.

    Die von vie­len Nachrichtenagenturen und Medien gedan­ken­los ver­wen­de­te Formulierung, Bergkarabach gehö­re „völ­ker­recht­lich“ zu Aserbaidschan, ist schlicht falsch. Richtig ist, dass das Gebiet in der Sowjetzeit in einem Handstreich Stalins gegen den Willen der loka­len Bevölkerung der Aserbaidschanischen SSR zuge­ord­net wur­de. Jedoch behielt sie selbst gemäß die­ser Entscheidung des Diktators ihren Autonomie-Status und erklär­te sich wäh­rend des spä­te­ren Austritts Aserbaidschans aus der zer­fal­len­den Sowjetunion in Übereinstimmung mit dem damals gül­ti­gen Unionsgesetz zur unab­hän­gi­gen Republik.

  3. Bergkarabach und Armenien sind Demokratien. Aserbaidschan ist eine Diktatur.

    Bergkarabach gilt als eine gera­de­zu mus­ter­haf­te Demokratie. In einer fried­li­chen Revolution hat auch die Bevölkerung Armeniens vor zwei Jahren ihre vor­mals auto­kra­ti­sche Regierung gestürzt und den frü­he­ren Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Nikol Pashinyan zum neu­en Regierungschef gewählt. Seitdem ent­wi­ckelt sich die Demokratie hier eben­falls sehr dyna­misch. Ganz anders gestal­tet sich die Lage in der Erbdiktatur Aserbaidschan: Das Land liegt im welt­wei­ten Index der Pressefreiheit nur zwölf Plätze vor Nordkorea. Forderungen nach einer fried­li­chen Lösung des Bergkarabach-Konfliktes und freie Meinungsäußerung im Allgemeinen füh­ren in Baku direkt ins Gefängnis. Der Verfall der Öl- und Gaspreise stellt die Kleptokratie innen­po­li­tisch vor enor­me Herausforderungen. Statt unan­ge­neh­me Fragen nach dem Verbleib der gigan­ti­schen Staatseinnahmen zu beant­wor­ten, wie­gelt die Regierung ihre Bevölkerung immer wie­der gegen den Feind auf – ein bekann­tes Muster in Diktaturen. Allein die Militärausgaben Aserbaidschans ent­spre­chen dem gesam­ten Staatshaushalt Armeniens.

  4. Aserbaidschan und die Türkei bege­hen schwe­re Kriegsverbrechen.

    Eine ver­meint­lich aus­ge­wo­ge­ne Berichterstattung im Sinne von „bei­de Seiten wer­fen sich gegen­sei­tig vor“ ent­larvt sich spä­tes­tens dann als ver­steck­te Parteinahme, wenn die Fakten eine kla­re ande­re Sprache spre­chen. So sind etwa mas­si­ve Kriegsverbrechen durch Aserbaidschan und sei­ne türkisch-syrischen Söldner doku­men­tiert: Erschießungen und Enthauptungen von Kriegsgefangenen, Einsatz von Streubomben und geziel­ter Beschuss von Schulen und Krankenhäusern mit Kampfdrohnen.

  5. Es droht die Wiederholung eines Völkermordes.

    Allein in den Jahren 1915 – 1916 ermor­de­ten die Jungtürken im Osmanischen Reich über 1,5 Mio. Armenier. Begleitet wur­de dies durch eine umfas­sen­de Enteignung der Christen, ganz ähn­lich dem spä­te­ren Raubmord der Nazis an den Juden. Da auch in den Jahren zuvor und danach aber­tau­sen­de Armenier durch Türken bei Massakern ermor­det wor­den sind, stellt der dies­jäh­ri­ge Kriegseintritt der Türkei mit Waffen, isla­mis­ti­schen Söldnern und Führungssoldaten die 3 Millionen Menschen in der Republik Armenien vor eine exis­ten­zi­el­le Bedrohung. Auch durch Aserbaidschaner wur­den im 20. Jahrhundert zehn­tau­sen­de Armenier ermor­det. Straflosigkeit für die Täter kenn­zeich­ne­te auch die­se Massenmorde. Internationale Genozidforscher war­nen jetzt in einem Brandbrief vor einer Wiederholung der Geschichte.

  6. Armenier wer­den welt­weit atta­ckiert – auch hier­zu­lan­de.

    Ähnlich der Judenverfolgung hat der Begriff Armenierverfolgung eine lan­ge Historie. Auch in die­sen Wochen gibt es neue Angriffe auf Armenier. Nicht nur in der Türkei, son­dern eben­falls in Frankreich und in Deutschland, etwa in Köln und Berlin. Frankreich ver­bie­tet nun die „Grauen Wölfe“ – tür­ki­sche Rechtsextreme, die es zu zehn­tau­sen­den auch in Deutschland gibt.

  7. Deutschland spielt wie­der eine fata­le Rolle.

    Als Verbündeter des Osmanischen Reichs hät­te das Deutsche Kaiserreich den Genozid an den Armeniern 1915 ver­hin­dern kön­nen. Doch über­ließ Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg die Armenier bewusst ihrer Vernichtung: „Unser ein­zi­ges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unse­rer Seite zu hal­ten, gleich­gül­tig, ob dar­über Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Soldaten des Deutschen Kaiserreichs waren in die Deportationen invol­viert. Das Festhalten der Regierung Merkel am Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hat 105 Jahre spä­ter zur Folge, dass die von Ländern wie Zypern lan­ge gefor­der­ten Sanktionen gegen die Türkei blo­ckiert wer­den. Deutschland steht somit wie­der treu an der Seite der Täter.

  8. Das Wissen um den Völkermord fehlt in Deutschland.

    Wüssten Bürger, Journalisten und Politiker in Deutschland mehr über die Schuld Deutschlands gegen­über dem ältes­ten christ­li­chen Volk der Welt, wür­den sie den dro­hen­den Massenmord nicht ober­fläch­lich als „Krieg im Kaukasus“ abtun. Es geht um einen zwei­ten Genozid. Noch kann er auf­ge­hal­ten wer­den. An deut­schen Schulen wird jedoch nicht ein­mal der ers­te Genozid an den Armeniern gelehrt – auf­grund erfolg­rei­cher poli­ti­scher Einflussnahme der Türkei und offen­bar auch aus Sorge um die Reaktionen tür­ki­scher Schüler und ihrer Eltern. Frankreich, Griechenland, Zypern und die Slowakei haben die Leugnung des Genozids unter Strafe gestellt. Vor dem Hintergrund der deut­schen Mitschuld am „ers­ten Völkermord des 20. Jahrhunderts“ (Papst Franziskus) ist es höchs­te Zeit, dass auch in Deutschland ein ent­spre­chen­des Gesetz ver­ab­schie­det wird.

  9. Israel spielt eine unrühm­li­che Rolle.

    Dass arme­ni­sche Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser neben Kampfdrohnen aus tür­ki­scher Produktion auch mit Drohnen aus Israel dem Erdboden gleich gemacht wer­den, führt zu Debatten. Hintergrund ist die Nähe Israels zu Aserbaidschan als wich­ti­gem Öllieferant und Operationsgebiet gegen den Iran. Aus die­ser Abhängigkeit her­aus ist es zu ver­ste­hen, dass Israel bis heu­te nicht ein­mal den Genozid an den Armeniern aner­kennt. Ein unhalt­ba­rer Zustand, auch für vie­le Israelis, der unter einer neu­en Regierung kor­ri­giert wer­den könn­te.

  10. Medien und Politik ver­sa­gen.

    Die spär­li­che Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen Sendern und Printmedien ist bis auf weni­ge Ausnahmen unge­nau und feh­ler­haft (sie­he Nr. 2). Sie rela­ti­viert Fakten (sie­he Nr. 4) durch die unge­prüf­te Übernahme von halt­lo­sen Gegenvorwürfen der Angreifer und legi­ti­miert so die Untätigkeit der Bundesregierung. Ein kur­zer Blick auf die jün­ge­re Geschichte mit Massakern an Armeniern bis in die Neunzigerjahre, auf die mili­tä­ri­sche Überlegenheit der Angreifer und auf die frag­wür­di­ge Rolle Russlands wür­de die tat­säch­li­che Not des arme­ni­schen Volkes zei­gen. Starke Sanktionen des Westens und der über­fäl­li­ge NATO-Rauswurf der Türkei hät­ten in den ver­gan­ge­nen Wochen bereits tau­sen­de Menschenleben ret­ten kön­nen. Die Schuld ins­be­son­de­re Deutschlands als Mittäter im Genozid und Verhinderer von Sanktionen wird mit jedem Tag grö­ßer.

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