Bergkarabach-Konflikt: Die Rolle Deutschlands

Von Vita

Politik

Nur auf den ersten Blick erscheint der Konflikt im Kaukasus um die hauptsächlich von armenischen Christen bewohnte Region Bergkarabach weit weg zu sein. Vor dem Hintergrund von neo-osmanischen Großreichsfantasien des türkischen Staatspräsidenten, Waffenlieferungen Deutschlands an die Türkei und der Beteiligung des Deutschen Kaiserreichs am Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern rückt die Krise politisch ganz nah.

In Folge des unter dem in der Türkei bis heute verehrten Staatsgründer Mustafa Kemal „Atatürk“ fortgesetzten Vernichtungskrieges gegen die armenische Zivilbevölkerung gerieten die im Vertrag von Sèvres von den alliierten Siegermächten zugestandenen Gebiete Westarmeniens vor rund 100 Jahren unter die Kontrolle der Türkei. Trotz der Anerkennung des Völkermords durch zahlreiche Regierungen und Parlamente weltweit leugnet die türkische Regierung diesen weiterhin und bedroht Armenien im Zangengriff mit dem als verbrüderten Turkvolk betrachteten Aserbaidschan.

Und Deutschland? Lieferte der Türkei eine Rekordmenge an Waffen und Milliardensummen im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen sowie des Flüchtlingsabkommens. Die Verstrickung des Deutschen Kaiserreichs in den „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ (Papst Franziskus) ist hierzulande noch immer weitgehend unbekannt. Doch erst die militärische Rückendeckung aus dem Kaiserreich eröffnete der jungtürkischen Regierung jenes Zeitfenster, welches sie zur Umsetzung der planmäßigen Deportation und des Massenmords an 1,5 Millionen Männern, Frauen und Kindern benötigte. Ähnlich den Profiteuren des NS-Regimes, entstand auch in der Türkei eine neue Schicht von Wohlhabenden auf der Grundlage des kollektiven Raubmordes an der armenischen Zivilbevölkerung.

Die heutige politische Haltung in der Türkei ist auch bei der vermeintlich aufgeklärten, kemalistischen Opposition brandgefährlich für Armenien. Deutschland belässt es bei unverbindlichen Appellen zum Frieden. Von einer „Staatsräson“, welche etwa die Sicherheit Israels für die Bundesregierung bedeutet, ist im Falle Armeniens jedoch nichts zu hören. So bleibt Armenien als einziger Verbündeter Russland, welches Waffen an alle Konfliktparteien verkauft hat und auch zu Aserbaidschan gute Beziehungen unterhält.

Übrigens: Im Jahr 1939, zum Auftakt des zweiten großen Genozids des 20. Jahrhunderts, soll Hitler vor der Wehrmacht mögliche Einwände gegen den Massenmord mit dem Hinweis „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ verworfen haben. Im Schulunterricht wird der Genozid auch vor dem Hintergrund erfolgreicher politischer Einflussnahme der Türkei in Deutschland bis heute kaum berücksichtigt.