Medien

Vier Thesen zum Journalismus

1. Journalismus braucht Medien

Ob es den Fall Wirecard in dieser Tragweite auch gegeben hätte, wenn die fundierten und hartnäckigen Recherchen nicht nur von der Financial Times in London, sondern auch von der im Jahr 2012 nach hohen Verlusten eingestellten Financial Times Deutschland publiziert worden wären? Eher nicht! Spätestens bei der völlig absurden und gefährlichen Strafanzeige der BaFin gegen Journalisten hätten die Reflexe der Branche im Falle von Kollegen in Deutschland funktioniert und auch andere Verlage sich zu eigenen Recherchen aufgerafft, anstatt die Stellungnahmen der Aufsichtsbehörden und die Mitteilungen des Dax-Konzerns ungeprüft zu übernehmen. 

Dass in der größten Volkswirtschaft Europas kein Platz für eine zweite börsentäglich erscheinende Wirtschaftszeitung sein soll, bringt die Not der Medienbranche auf den Punkt: Journalismus rentiert sich betriebswirtschaftlich gesehen nur noch selten. Die Hälfte der zu vergebenden Werbe-Etats entfällt heute auf Google und Facebook. Die Bedeutung des Journalismus für die Demokratie hat jedoch nicht abgenommen. Sie ist mindestens so konstitutiv wie die Existenz von Exekutive, Legislative und Judikative. Weniger Journalismus bedeutet mehr unentdeckte Skandale, übrigens auch in den drei vorgenannten Gewalten.

2. Journalismus kostet Geld 

Journalismus ist teuer. Historisch haben sich hierzulande zwei Modelle der Finanzierung von Medienangeboten entwickelt: Privatwirtschaftlich organisierte Verlage, deren Geschäftsmodell jahrzehntelang hervorragend funktionierte, seit der Jahrtausendwende jedoch erodiert. Und öffentlich-rechtliche Anstalten, die zwar über schier unerschöpfliche Geldtöpfe zu verfügen scheinen, jedoch unter strukturellen Schwächen leiden, darunter die regelmäßige Depublizierung ihrer Inhalte sowie politische Einflussnahme. Massive Probleme gibt es auf beiden Seiten: Die Beispiele reichen von nicht kenntlich gemachter Werbung inmitten des redaktionellen Inhalts mancher Verlage bis hin zur Absetzung eines öffentlich-rechtlichen Chefredakteurs durch einen gescheiterten Kanzlerkandidaten.

Hinzu kommt: Ein Großteil der privatwirtschaftlich und öffentlich-rechtlich produzierten Inhalte hat mit Demokratie-relevantem Journalismus nur am Rande zu tun. Seien es die Wohlfühl-Magazine eines vormals für seine politische Berichterstattung bekannten Verlags oder die enormen Ausgaben von öffentlich-rechtlichen Anstalten für Sportrechte. Ob sich nun aber ein Verlag aus betriebswirtschaftlichen Gründen inhaltlich selbst irrelevant macht, oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt ihr Budget zu einem Gutteil in die Gehälter von Bundesligaspielern steckt – der Journalismus bleibt in jedem Fall auf der Strecke.

3. Weniger Journalismus gefährdet die Demokratie

Die glanzvoll verkündete „Transformation“ vieler Medienhäuser in die digitale Welt besteht in der tristen Wirklichkeit zumeist aus Sparprogrammen und dem massiven Abbau journalistischer Arbeitsplätze. Im öffentlich-rechtlichen Bereich führen politische Vorgaben ebenfalls zu einem Abbau von journalistischen Stellen. 

Die Folge dieser massiv verschlechterten Rahmenbedingungen: Statt eines Kampfes um die besten Talente erfolgen viele Ausschreibungen mittlerweile vorrangig um die günstigsten Arbeitskräfte, die in möglichst flexiblen Vertragsformen beschäftigt werden – auch und gerade im öffentlich-rechtlichen Bereich. Die daraus folgende Mischung aus Überforderung und Opportunismus in vielen Redaktionen ist in keinem gesellschaftlichen Bereich derart tödlich wie im Journalismus.

Wie kann es sein, dass über Jahre ein Konzern bis in den Dax hochgejubelt wird und es die Kollegen einer britischen Zeitung braucht, um das Kartenhaus zum Einsturz zu bringen? Warum werden PR-Meldungen von Unternehmen und Mitteilungen von Behörden wie Staatsanwaltschaften nachgebetet, ohne eine kritische Prüfung auch nur in Erwägung zu ziehen? Und warum sind Doping-Rechercheure die absoluten Exoten unter ihren Kollegen in der Sportberichterstattung?

Natürlich gab und gibt es Unfähigkeit sowie schlechtes Qualitätsmanagement zu allen Zeiten und auch in vergleichsweise komfortabel ausgestatteten Unternehmen. Der dramatische wirtschaftliche Niedergang des Journalistenberufs geht jedoch gerade im Zeitalter „sozialer Medien“ mit seiner Deprofessionalisierung und einem Verfall seiner Grundsätze einher. 

Dass selbst das „Sturmgeschütz der Demokratie“ im Ringen um Auflage über einen langen Zeitraum den Seifenopern eines Betrügers aufsaß und beinahe den Aufklärer dieses Skandals anstelle des Täters entlassen hätte, zeigt die Dramatik in ihrem ganzen Ausmaß. Unvergessen sind auch die unrühmlichen Auftritte von öffentlich-rechtlichen Anstalten als weitgehend unkritische Medienpartner eines Radrennens, das eindeutig besser von der Pharmaindustrie präsentiert worden wäre.

4. Den Journalismus zu retten ist möglich

Während manche Verlage einen langsamen Tod sterben und andere sich mit branchenfremden Tätigkeiten von ihrem Kernprodukt distanzieren, gelingt die Monetarisierung von journalistischen Inhalten nur selten. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Anzahl der Arbeitsplätze für investigative Journalisten erschreckend gering. Neben riesigen Ausgaben für Sport, Filme und Shows, neigen auch viele journalistische Formate im öffentlich-rechtlichen Hauptprogramm mehr zur Nacherzählung von Agenturmeldungen, denn zur Investigation. Das ist Wasser auf die Mühlen von Gegnern der „Zwangsgebühren“, die in der Tat einen Punkt haben: Ausschließlich für Journalismus verwendet, könnte der Rundfunkbeitrag geringer ausfallen – bei einem zugleich deutlichen hochwertigeren Produkt.

Auf der anderen Seite gibt es das Schreckgespenst einer „öffentlich-rechtlichen Zeitung“, welches in manchen Verlagen umgeht. Doch wird nicht etwa auch die Justiz vom Staat finanziert? Die Unabhängigkeit der Richter sichert das Gesetz. Warum sollte dies bei der vierten Gewalt eigentlich nicht gelingen? Ist es ein Naturgesetz, dass in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten ausgerechnet jene Parteien und ihre „Freundeskreise“ vertreten sein müssen, über welche die Anstalten dann kritisch berichten sollen? Ist es eine gute Idee, wenn wichtige Personalentscheidungen letztlich von den Ministerpräsidenten getroffen werden? Oder könnte man das nicht auch anders organisieren?

An dieser Stelle soll auf keinen Fall einer Verstaatlichung das Wort geredet werden. Privatwirtschaftlich organisierte Medienangebote sind mindestens ebenso wichtig wie öffentlich-rechtliche Anstalten. Doch muss es vor einer spätestens mittelfristig dringend notwendig werdenden, massiven finanziellen Unterstützung für Medienhäuser durch den Staat objektiv überprüfbare Förderkriterien geben, welche öffentlich-rechtliche Angebote ebenso erfüllen sollten. Drei Vorschläge hierfür: Investigation, Investigation und Investigation.

Investigativer Journalismus, also die aktive Recherche und Enthüllung von Problemen und Skandalen, ist das Lebenselixier einer Demokratie. Auch das seriöse Zusammentragen und Prüfen von Fakten ist angesichts der Flut von Desinformation, Verschwörungstheorien und staatlicher Propaganda nicht weniger wichtig geworden. Stirbt der Journalismus, stirbt die Demokratie. So einfach ist das. Die Abwesenheit von kritischem Journalismus wird, siehe Wirecard, für die Gesellschaft darüber hinaus auch richtig, richtig teuer.